Predigt beim Ökumenischen Tauferinnerungs-Gottesdienst
der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln
Baptisterium am Dom, Sonntag, 24. Juni 2018
von Thomas Söding
Liebe Schwestern und Brüder,
die Taufe ist ein Lebenszeichen – und was für eines. Die Taufe ist ein Zeichen, dass Gottes Leben mitten in der Welt schon angefangen hat und immer neu anfängt: mit uns, hier und jetzt, heute und morgen. Leben aus dem Wasser – das ist nicht nur eine Einsicht der Evolutionsbiologie; Leben aus dem Wasser – das ist auch eine Einsicht unseres Glaubens: Leben aus dem Wasser und dem Geist, gesegnetes Leben, sinnvolles Leben, erfüllt von Gottes Liebe.
Die Taufe ist ein Lebenszeichen für alle Menschen. Im Epheserbrief heißt es kurz vor der Stelle, die wir in unserer Lesung gehört haben: Ein Gott – ein Glaube – eine Taufe (Eph 4,4-6). Paulus schreibt im Galaterbrief, dass es ein und dieselbe Taufe gibt: für Juden und Heiden, Sklaven und Freie, Männer und Frauen. In allen Muttersprachen, in allen Zeichensprachen dieser Welt ist die Taufe gleich gut zu verkünden und zu feiern. Es braucht nur einen Menschen, der Ja zu Gott sagt; es braucht einen anderen Menschen, der die Taufe spendet. Es braucht Wasser. Und es braucht ein gutes Wort: „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Elementarer kann ein Lebenszeichen nicht sein. Diese Einfachheit, diese Klarheit, diese Universalität: Die Taufe steht für eine rituelle Revolution. Sie erklärt sich aus der Grundüberzeugung des frühen Christentums: Er gibt nur einen Gott – und er ist der Gott für alle. Es sind nicht Geschlecht oder Besitz, nicht Nation oder Beruf, die zur Taufe qualifizieren; es ist der Glaube, der die Taufe begehrt.
Was passiert in der Taufe?
Die Handbücher der Dogmatik geben eine vielseitige Antwort: Von der Vergebung der Sünden ist die Rede; die Befreiung von der Erbsünde wird diskutiert, die Eingliederung in den Leib Christi, die Eröffnung einer Lebensperspektive über den Tod hinaus. Doch wenn nicht die Geschichten von Menschen, die getauft werden und getauft sind, erzählt werden können, bleibt die Theologie der Taufe dürr. Wenn aber die Geschichten erzählt werden und wenn die Gesichter der Menschen vor Augen stehen, die sich haben taufen lassen oder vorhaben, getauft zu werden, weitet sich der Blick und verlebendigt sich die Theologie.
Die westliche Theologie, sie vor allem, ist seit dem Mittelalter bei der Taufe sehr stark am Schicksal der Einzelnen interessier, an der individuellen Heilszusage, dem persönlichen Siegel der göttlichen Gnade.
Tatsächlich: Massentaufen sind ein Widerspruch in sich. Es werden immer Einzelne getauft: „Ich taufe dich …“, heißt die Formel. Der eigene Name wird genannt – der in Gottes Hand geschrieben steht. Der eigene Glaube ist gefragt, auch wenn er zuerst im Glauben der Familie, im Glauben der Gemeinde, im Glauben der Kirche schlummert und im Laufe des Lebens wachgeküsst werden muss.
Eine Zwangstaufe ist widersinnig. Eine Freiheitstaufe ist sinngemäß: eine Taufe aus Freiheit und zur Freiheit. Seit dem Urchristentum war und ist die Taufe ein Zeichen der Selbstständigkeit, aber nicht der Isolation Die Freiheit des Glaubens kommt in der Taufe zum Ausdruck – die kein Mensch sich selbst spenden kann. Die Freiheit der Taufe ist begnadete Freiheit. Das Urchristentum hätte sich gar nicht entwickeln können, wenn nicht der Anpassungsdruck der antiken Familien gelockert worden wäre, bei denen der pater familias nicht nur über Beruf und Heirat, sondern auch über die Religion zu bestimmen hatte. Desto wichtiger ist, dass in den christlich geprägten Gesellschaften nicht ein neuer Druck zur Taufe aufgebaut wird, sondern dass die Taufe, auch die von Säuglingen, in die Freiheit des Glaubens führt, so dass die Entscheidung nachgeholt und der Anfang des Lebens eingeholt werden kann.
Aber so sehr die Taufe die einzelnen Menschen ins Licht der Gnade Gottes stellt, so wenig macht sie einsam. In der weltweiten Ökumene wird heute darüber nachgedacht, dass die Taufe ein Lebenszeichen der Kirche ist – nicht nur unter dem Aspekt, dass die Täuflinge neu zu ihr stoßen, sondern auch unter dem Aspekt, dass die Taufe eine Feier der Kirche ist. Wenn man also die Taufe anerkennt, wie das die meisten Mitgliedskirchen der ACK untereinander tun, muss man auch die Kirchen anerkennen, in denen sie gespendet wird.
Aber auch wenn das nicht allen Kirchen zu sagen leichtfällt, auch meiner eigenen nicht: Es wäre noch zu klein von der Taufe gedacht. Wie groß von ihr gedacht werden kann, zeigt die Lesung aus dem Epheserbrief. Die Taufe ist zwar nicht direkt ihr Thema, bestimmt aber den Hintergrund der Perikope.
Der Epheserbrief spricht nicht diejenigen an, die getauft werden möchten. Er redet diejenigen an, die schon getauft sind – und nun etwas aus dem Leben machen sollen, das Gott ihnen aus dem Wasser der Taufe geschenkt hat. Die Kirche ist das große Thema des Briefes, das Bürgerrecht für diejenigen, die bislang ausgegrenzt waren; denn Jesus Christus hat keine Mauer errichtet, sondern eine Mauer niedergelegt. Weil er zeigen will, wie grandios diese Wende ist, arbeitet der Brief mit Schwarz-Weiß-Kontrasten. Er tut nicht so, als ob es die Grautöne des Lebens nicht gäbe. Aber er klärt, dass nicht shades of grey die Bilder des Lebens aus dem Wasser der Taufe liefert, sondern lights of grace.
Für die Möglichkeit dieser wunderbaren Wende tritt der Epheserbrief ein, auch im persönlichen Leben. Ja, es besteht die große Chance, zu werden, wer man ist: Gottes Tochter, Gottes Sohn. Ja, es besteht die Möglichkeit, neu anzufangen – um mitten im alten ein neues Leben zu beginnen, in dem ich endlich ich selbst sein kein: kein Egoist, sondern Schwester oder Bruder Jesu Christi, Mensch unter Menschen, Geschöpf in der Schöpfung.
Den neuen Menschen, lesen wir, soll man anziehen – also das Taufkleid nicht in den Schrank hängen, sondern aus der Garderobe holen: Kleider machen Leute. Wer getauft ist, gleich in welcher Konfession, ist „in Christus“, sagt Paulus: Christus umgibt die Getauften, wie ein schützendes Kleid. Er umarmt sie, wie der beste Freund. Der Mensch, nach Gottes Bild geschaffen, ist Adam, ist Eva, ist der Mensch überhaupt, gemacht aus dem Staub dieser Erde und angehaucht vom Atem Gottes. Dieses Menschenkind, so die Verheißung der Taufe, orientiert sich an Jesus, in dem die griechische Exegese seit dem antiken Christentum die Ikone Gottes gesehen hat, die jeden Menschen anschaut, auf dass er sie anschaue und sich im Schauen wandle, um ein wahrer Mensch zu werden.
Wie das geht?
Der Epheserbrief ist ganz nüchtern. Er hat keine Hochseilartisten im Zirkuszelt moralischer Spektakel und spiritueller Ekstasen im Sinn, sondern ein gutes Leben, das Menschen eine Chance gibt. Diebe sollen nicht mehr stehlen, sondern anständig arbeiten, um ehrlich erworbenes Geld ausgeben zu können, auch für andere. Nicht fake news sollen verbreitet werden, sondern good news: Worte, die guttun, weil sie gut sind; Worte, die richtig sind, weil sie wahr sind, indem sie Gott die Ehre geben und die Würde der Menschen achten. Güte und Barmherzigkeit sollen herrschen.
Mit der Sprache soll man sorgfältig umgehen, mit dem Geld, vor allem mit denen, die aus der Ferne in die Nähe kommen – es ist, als ob der Epheserbrief heute geschrieben worden wäre. In jeden Fall ist für heute geschrieben worden. Er macht Mut, nicht nur auf sich selbst zu schauen, nicht nur auf den Kommunionstreit, nicht nur auf ökumenische Empfindlichkeiten und kirchliche Machtkämpfe. Sondern auf Jesus Christus, „der sich für uns hingegeben hat, als Gabe und Opfer, das Gott wohlgefällt“.
Die Taufe haben wir von ihm, der nicht nur für uns gestorben und auferstanden ist, sondern für alle. Deshalb haben wir auch die Taufe nicht nur für uns, sondern für andere. Wir sind getauft: nicht nur für uns selbst, sondern für andere, denen wir ein Segen sein sollen. Wir sind getauft „für nebenan“.
Was ist hier im Baptisterium nebenan? Nebenan ist der Dom, nebenan ist der Bahnhof, nebenan ist der Rhein.
Wir sind getauft für den Dom: der so groß ist, dass er Tausenden und Millionen Menschen Platz bietet, der aber auch so klar ist, dass er ein Zentrum hat: den Altar im Zeichen der heiligen drei Könige, der Fremden aus dem Morgenland, die mitten im christlichen Abendland Asyl gefunden und es tief geprägt haben, der heidnischen Magier, die den Stern gesehen haben und nach Bethlehem gekommen sind, um vor allen Schriftgelehrten, vor allen Jüngern das Kind auf dem Arm seiner Mutter anzubeten und ihm ihre Gaben zu bringen. Wir sind getauft, um diese Weiten der Heilsgeschichte zu erkennen, deren kleinen Teil wir in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirche in größerer Vielfalt abbilden können, als wir es in jeder unserer Kirchen allein können, wie groß auch immer sie sein mögen. Wir sind getauft, um uns auf die Pilgerschaft zu Jesus zu machen – und dann auch zum Altar, um dort gemeinsam die Eucharistie feiern, das Geheimnis des Glaubens, das uns tiefer verbindet, als wir es zu glauben vermögen.
Wir sind getauft für all die Menschen, die tagaus tagein den Bahnhof bevölkern, diesen Verkehrsknotenpunkt mitten in der Stadt, mit Verbindungen in die ganze Welt, den täglich an die 300.000 Menschen benutzen. Die Bahnhofmission ist nur ein kleines, aber ein wichtiges Zeichen für das, was wir Getauften dort im Hauptbahnhof zu suchen haben: Wir selbst gehören mitten hinein in diesen Strom von Menschen. Wir brauchen gute Verbindungen und manchmal arg strapazierte Geduld für den nächsten Anschluss. Wir sind auf die Arbeit und oft genug auf die Hilfe, auf die Anteilnahme anderer angewiesen. Aber wir sind auch selbst gefragt, Anteil zu nehmen: zuerst in dem, was wir ausstrahlen: jene Menschlichkeit, für die der Epheserbrief eintritt. Im Hauptbahnhof und in Zügen habe ich zwar schon manches Gespräch über Gott und die Welt geführt. Aber eine dezente Mission: eine Bereitschaft, Auskunft zu geben, wenn man gefragt wird, heißt es im Ersten Petrusbrief, einem Geistesverwandten des Epheserbriefes. Vor allem jedoch sind wir gefragt, ob das Leben von heute in unserem Glauben und in unseren Kirchen vorkommt: in unseren Gebeten, in unseren caritativen Aktionen, in unseren politischen Botschaften, in unserer Katechese und unserer Theologie. Der Dom als Bollwerk gegenüber dem Bahnhof – das funktioniert nicht. Der Dom als Wahrzeichen der Stadt, in die man führt und durch die man fährt – das geht bestens. Seien wir die lebendigen Steine, die dieser Kirche und allen Kirchen dieser Welt Leben verleihen.
Getauft für nebenan, haben wir auch den Rhein im Blick. Ja, er ist eine Wasserstraße; ja, er ist auch, mal mehr, mal weniger, eine Kloake. Vor allem aber ist er ein Strom, der die Alpen mit der Nordsee verbindet, ein Stück Natur und Kultur, das zur Lebensader dieser Stadt geworden ist. Der Rhein ist ein Zeichen der Schöpfung Gottes mitten in der Großstadt, direkt neben der Kirche. Ohne diesen Fluss wäre diese Stadt hier nicht gebaut worden; ohne den Rhein würde auch der Dom hier nicht stehen mit seinem Baptisterium, in dem wir heute versammelt sind, um ad fontes zu gehen, zur Quelle unseres Glaubens. Auch wer nicht mit Rheinwasser getauft ist, kann sich vorstellen, wie der Glaube vom Rhein inspiriert werden kann – und wie kümmerlich der Glaube versiegen würde, wenn nicht so viel Wasser des Lebens dahinströmen würden, auf denen er selbst sich bewegt, und wie sehr der Glaube lebendig wird, wenn er nicht nur das persönliche Wohl und Wehe, nicht nur das Schicksal der Kirche, sondern auch die Bewahrung der Schöpfung in den Blick, die Verantwortung für sauberes Wasser: Gottes Geschenk, um den irdischen Durst zu stellen, der Durst auf das lebendige Wasser des ewigen Lebens machen soll. Wer mit dem Zug über die Rheinbrücke fährt und den Dom vor Augen hat, kann sich vergegenwärtigen, was das Wort aus dem Epheserbrief heißt: „Wir sind als Glieder miteinander verbunden“.
Jesus selbst hat es vorgemacht. Er hat sich taufen lassen von Johannes im Jordan – nicht, weil er selbst Sünden zu bekennen hätte, sondern weil er sich mit den Sündern dieser Welt, mit uns und mit allen anderen, solidarisiert hat, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Das ist unsere Hoffnung. Dafür sind wir getauft, getauft für nebenan.