Predigt im ökumenischen Neujahrsgottesdienst am 3. Februar 2019 in St. Gereon, Köln

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Selig, die Frieden stiften

von Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff

Die siebte Seligpreisung, die den Friedensstiftern gilt, hat ebenfalls einen aktiven Friedenseinsatz vor Augen. Der eirenopoios ist nicht nur der Friedfertige, der von sich aus keinen Streit mit anderen Menschen sucht, sondern einer, der sich durch eigenes Tun um Streitbeilegung bemüht. Daher ist die Übersetzung „selig sind die Friedfertigen“ zu blass; wörtlich sind die Friedensmacher und Friedensstifter gemeint.[1] Dabei ist an ein peace building im umfassenden Sinn zu denken, das die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden schafft, indem Konfliktursachen beseitigt und Interessengegensätze durch aktive Kooperationsvereinbarungen überwunden werden. Die Stunde der Friedensstifter schlägt, wenn es darum geht, einen anfänglichen Friedenszustand, der dem Waffenstillstand folgt, durch aktiven Friedensaufbau langfristig zu sichern. Kurz: Die Friedensstifter sind nicht nur durch das Fehlen von Aggressivität und innerer Feindseligkeit oder ihre Friedensbereitschaft gekennzeichnet; sie setzen sich vielmehr durch ihr leidenschaftliches Engagement für die Wiederherstellung und Bewahrung des Friedens ein.[2]

Die Ermahnung zum Frieden ist in der antiken Welt und im Judentum weit verbreitet, was kaum überrascht, denn sie greift eine uralte Menschheitssehnsucht auf. Wo Menschen zusammenleben, ist der Wunsch nach Frieden unter ihnen lebendig. Die verbreitete Friedenssehnsucht unter den Völkern zeigt, dass der Friede als das Nicht-Selbstverständliche gilt; er ist ein stets gefährdeter labiler Zustand, der jederzeit in Auseinandersetzung, Streit und Krieg umschlagen kann. Der biblische Begriff shalom meint jedoch nicht, wie die griechische eirênê den Friedensschluss, der auf den Krieg folgt, also den vorübergehenden Nicht-Krieg, der wieder von einem Kriegszustand abgelöst wird, sondern den umfassenden Frieden, der den Krieg verhindert. Anders als die pax romana, die eine den unterdrückten Völkern gewaltsam auferlegte Weltordnung intendierte, beruht der shalom nicht auf der militärischen Macht eines Weltreichs, das straff von seinem Zentrum aus regiert wird. Vielmehr meint der shalom etwas Allumfassendes, ein integrales Ganzsein als Gegensatz zu aller Entzweiung und Vereinzelung, das sich nach drei Dimensionen hin entfaltet: in der Unterordnung des Menschen unter Gott, in der daraus folgenden Einheit des Menschen mit sich selbst und schließlich in der auf dieser Grundlage möglichen Einheit der Menschen untereinander.

Wiederum wird hier der Richtungssinn erkennbar, nach dem das Tun der Friedensstifter seinen Anfang in ihrem Herzen nimmt und sich dann von innen nach außen wendet. Da sie mit sich selbst im Frieden sind und ein redliches Herz haben (vgl. Ps 85,9), sind sie dazu in der Lage, mit allen Menschen in Frieden zu leben. Das andauernde Tätigsein zugunsten des Friedens, das Sich-Ausstrecken nach ihm, ist in der Mahnung von Ps 34,15 ausgesprochen, den Frieden zu „suchen“ und ihm „nachzujagen“. Dies geschieht durch das Bemühen, Böses in jeder Form zu meiden und allen Menschen Gutes zu tun; auch ist der Gerechte eher bereit, selbst Unrecht zu leiden, als anderen Unrecht zuzufügen. Besonders warnt der Psalm vor dem Unfrieden, der durch eine böswillige Zunge und falsche Reden entstehen kann (vgl. Ps 34,14). Dagegen stiftet Frieden, wer Tadel offen ausspricht (vgl. Spr 10,10) und gute Ratschläge gibt (vgl. Spr 12,20).[3] Eine biblische Kurzformel nennt diesen umfassenden shalom den „Frieden Gottes“, der sich in der Welt durch gottesfürchtige Menschen ausbreitet (vgl. Phil 4,7). Weil dieser Friede Gottes daraus erwächst, dass ein Mensch die Gedanken und Regungen seines Herzens auf Gott hin ordnet, so dass sie sich ganz von ihm bestimmen lassen, werden die Friedensstifter auch Töchter und Söhne Gottes genannt.[4]

Die Bedeutung, die den Ehrenbezeichnungen der Töchter und Söhne Gottes zukommt, lässt sich anhand des Erwählungsrituals in der Perikope von der Taufe Jesu und der Proklamation Jesu als Sohn Gottes, die ihren Mittelpunkt bildet, gut erkennen. Worin besteht das Gottes-Sohn-Sein Jesu? Anders als bei Johannes, der Jesus als den vom Himmel kommenden Offenbarer auftreten lässt und eine Logoschristologie entwickelt, in der die Deszendenzbewegung von oben nach unten die Richtung vorgibt, wird Jesus bei Matthäus aufgrund seines vollkommenen Gehorsams gegenüber dem Willen des Vaters zum Sohn Gottes erwählt. Darauf verweist die Proklamation durch die göttliche Stimme: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ (Mt 3,17) Die Perikope von der Taufe Jesu erläutert auch, warum der Titel „Sohn Gottes“ und – in seiner folgerichtigen Erweiterung – „Tochter Gottes“ auf die Jünger Jesu übertragbar ist, die ihm auf seinem Weg folgen. Auf die Vorhaltungen des Täufers, es stehe ihm, dem Geringeren, nicht zu, den zu taufen, der stärker ist als er, antwortet Jesus: „Nur so können wir die Gerechtigkeit (die Gott verlangt) ganz erfüllen.“ (Mt 3,15) Damit ist nicht nur an ein einzelnes Willensdekret des himmlischen Vaters gedacht, der das Getauftwerden Jesu durch Johannes anordnen würde, sondern an das Ganze des göttlichen Willens, den Jesus erfüllt.[5] Auf diese Weise ist aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass die Gerechtigkeit, die Jesus auf vollkommene Weise verwirklicht, und die Gerechtigkeit, nach der die Jünger streben sollen, ein und dieselbe Gerechtigkeit ist. Es gibt für Matthäus keine besondere Gerechtigkeit Jesu, die sich von menschlichen Gerechtigkeitsvorstellungen abheben würde, sondern nur die eine und ungeteilte Gerechtigkeit, die Gottes Willen vollkommen entspricht und die Jesus in seinem Leben und Sterben ganz verwirklicht. Eben dadurch wird er zum Sohn Gottes, was ihn aus der Perspektive des Matthäusevangeliums an die Seite der Jünger stellt, die durch ihr Streben nach der Gerechtigkeit ebenfalls zu Töchtern und Söhnen Gottes werden sollen.

Auch die Menschen, die sich Jesus anschließen, werden so genannt, weil die Grundstruktur bei Jesus und bei seinen Jüngern dieselbe ist. Der Weg des Christseins, den Jesus vorangeht, steht bei ihm ebenso wie bei allen, die ihm folgen, unter der Forderung der größeren Gerechtigkeit (vgl. Mt 5,20) und eines konkreten Gehorsams im Alltag. Einen kürzeren Weg, der direkt, ohne den scheinbaren Umweg über den Dienst an den Armen, Niedrigen und Zurückgesetzten zu Gott führt, gibt es nicht. So kommt der Szene der Taufe Jesu programmatische Bedeutung für das Leben aller Christen zu: „Der Gottes Wille gehorsame Jesus wird zum Ur- und Vorbild der Christen.“[6] In dieser Vorbildfunktion liegt der Grund dafür, dass in den Seligpreisungen der Bergpredigt die Friedensstifter Töchter und Söhne Gottes genannt werden können.

Die dritte und siebte Seligpreisung, die denen gilt, die keine Gewalt anwenden und den Frieden stiften, inspirierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Begründer einer christlichen Friedensbewegung, die sich der Kriegsbegeisterung unter den deutschen Katholiken und Protestanten vor und während der beiden Weltkriege widersetzte. Zwei ihrer Exponenten seien hier herausgegriffen, weil sie sich zur Rechtfertigung ihres Friedenseinsatzes ausdrücklich auf die Bergpredigt und die Seligpreisungen beriefen: der Ehemann und Familienvater Franz Jägerstätter (1907–1943) und der Freiburger Diözesanpriester Max Josef Metzger (1887–1944). Der erste wurde am 27. Oktober 2007 in Linz selig gesprochen, für Metzger wurde das Römische Verfahren, das zur Heiligsprechung führen soll, im Frühjahr 2014 eröffnet. Für beide bedeutete christliche Gewaltlosigkeit und Feindesliebe nach dem Gebot Jesu keine Kapitulation vor dem Bösen und keine Resignation angesichts seiner Übermacht. Vielmehr geht es denen, die der Weisung Jesu folgen und keine Gewalt anwenden, darum, die Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu beenden, indem sie ihr die Bereitschaft entgegensetzen, die Feinde zu lieben und ihnen Gutes zu tun. Ihr Vertrauen in die Macht des Guten darf nicht mit einer passiven Hinnahme des Bösen verwechselt werden, sondern erfordert eine besondere Aktivität des Durchleidens und Ertragens in der Konfrontation mit Gewalt, Aggression und Hass. „Die Losung des Christen im Kampfe ist nicht: Gewalt mit Gewalt abwehren, sondern Geduld und Ausharren im Glauben“ notiert Jägerstätter in seinen Tagebuchaufzeichnungen, während er im Gefängnis auf seinen Prozess wegen Wehrdienstverweigerung wartete.[7]

Metzger führte in seinen öffentlichen Friedensappellen, die er noch vor dem Ende des Ersten Weltkrieges in Predigten und Reden erhob, die Entfesselung militärischer Gewalt auf den Ungehorsam der europäischen Christenheit gegenüber der Weisung Jesu zur Friedensliebe und Gewaltlosigkeit zurück. Er beklagte, dass die Bergpredigt nicht mehr als die Magna Charta der christlichen Friedensbereitschaft ernstgenommen, sondern durch ein Moratorium außer Kraft gesetzt wurde. Er sah es als den größten Frevel und als ein besonderes Ärgernis an, dass die beiden Weltkriege vom Boden des christlichen Abendlandes aus millionenfach Mord und Zerstörung über die Menschheit brachten, wo doch eigentlich nach dem Willen Jesu Feindesliebe und Vergebungsbereitschaft herrschen sollten.[8] In einem Dokument, das er aus dem Gefängnis an seine Richter beim Volksgerichtshof adressierte, legte er die Grundsätze seiner politischen Friedensarbeit dar, durch die er den Friedensaufforderungen der damaligen Päpste Geltung verschaffen wollte. Er bekannte sich zur Idee eines christlichen Pazifismus, in der er jedoch keine „Sache schwächlicher Sentimentalität“ und keinen feigen Verzicht auf die Wahrung von Gerechtigkeit und Recht sah.[9] Vielmehr entspringt die Ablehnung des Krieges als Mittel der Konfliktaustragung zwischen den Völkern „der Erkenntnis und Überzeugung, dass bei der modernen Verflechtung der Völker, bei der tatsächlichen Machtkonstellation der Welt, kein Krieg mehr Aussicht hat, einem Volk mehr Nutzen als Schaden zu bringen, wie ja auch der Weltkrieg auch den ‚Siegern‘ keine wirklichen Vorteile brachte“[10]. In diesem Memorandum entwarf er auch die Idee einer völkerrechtlichen Ächtung des Krieges durch die Gemeinschaft der zivilisierten Völker und eines internationalen Gerichtshofes zur friedlichen Streitbeilegung, die die Entwicklung des modernen Völkerrechts und der internationalen Politik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestimmte.

Die christliche Friedensbewegung, die den Seligpreisungen der Bergpredigt in den Beziehungen zwischen den Völkern Gehör verschaffen wollte, drückte ihre Friedenssehnsucht nicht nur in öffentlichen Reden und politischen Programmen, sondern auch in Symbolen und Bildworten aus. Neben der Friedenstaube, die an die versöhnende Kraft des Geistes Gottes erinnert, kann die Vision vom Ende aller Waffengewalt in Bildern einen Ausdruck finden, die Gewehr- oder Kanonenrohre zeigen, aus deren Lauf eine Blume herauswächst. Die Hoffnung, die Waffen selbst unbrauchbar zu machen, damit sie nicht mehr dem Töten und Vernichten, sondern dem Leben dienen, nährt sich von der biblischen Friedensprophetie, die verlangt, Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln umzuschmieden (vgl. Jes 2,4). Hinter diesem Bildwort verbirgt sich nicht nur rhetorischer Überschwang oder eine verunglückte poetische Stilblüte, sondern ein realer Vorgang in der Alltagswelt von Bauern in der späten Eisenzeit, in der dieser Text entstand. Da Eisen ein seltenes, kostbares Material war, besaßen die Bauern in der Regel nur eine Eisenspitze, die sie an ihrem Holzpflug befestigten, um ihre Felder zu bearbeiten. Zu Kriegszeiten banden sie dasselbe Stück Eisen an einen Holzknüppel, der ihnen als Waffe dienen konnte. Das Umschmieden aller Schwerter in Werkzeuge des Friedens bezeugt ebenso wie die Friedenstaube oder die Blume im Waffenrohr, dass unter den Menschen, die sich dem Geist der Seligpreisungen öffnen, Friede und Versöhnung an die Stelle von Hass und Gewalt treten kann.[11]

 

 


[1] Die Übersetzung „die Friedfertigen“ leitet sich von der lateinischen Version pacifici ab, die auch in den romanischen Sprachen zu analogen Bildungen (z. B. „les pacifiques“ im Französischen) führt. Vgl. J. Dupont, a.a.O., 635.

[2] A.a.O., 636.

[3] Vgl. H. Lichtenberger, a.a.O., 74.

[4] Vgl. G. Strecker, Bergpredigt, 44 und H. Weder, a.a.O., 77.

[5] Vgl. U. Luz, a.a.O., 154.

[6] Ebd.

[7] E. Putz, Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen. Franz Jägerstätter verweigert 1943 den Wehrdienst, Linz 1987, 206. Vgl. auch M. Scheuer, Selig die keine Gewalt anwenden. Das Zeugnis des Franz Jägerstätter, Innsbruck/Wien 2007, 81.

[8] Vgl. H. Lipp, Max Josef Metzger. Ein Heiliger für Europa, Leutesdorf 2005, 38.

[9] Zit. nach H. Ott, A. Weiß und N.-G. Reimann, Dr. Max Josef Metzger, geboren 3. Februar 1887 in Schopfheim/Baden, hingerichtet 17. April 1944 in Brandenburg (Havel)-Görden. Beiträge zum Gedenken, in: Freiburger Diözesan-Archiv (1986) 106–226, hier 209.

[10] Ebd.

[11] Vgl. P. Lapide, a.a.O., 42.